Key Takeaways
Es leiden wahrscheinlich wesentlich mehr Menschen an Hyperhidrose, als offiziell bekannt ist, obwohl das Problem behandelbar ist.
In den meisten Fällen liegt keine andere Krankheit dahinter, sondern das übermäßige Schwitzen passiert „einfach so“. Die Ursache steckt vermutlich im Nervensystem oder in den Genen.
Bei Nachtschweiß oder plötzlichem Schwitzen am ganzen Körper könnte eine andere Krankheit oder ein Medikament ursächlich sein.
Übermäßiges Schwitzen, auch Hyperhidrose genannt, kann ziemlich belastend sein. Tatsächlich scheinen ziemlich viele Menschen von diesem Leiden betroffen zu sein. Viele behalten ihre Sorgen jedoch für sich, nicht zuletzt aufgrund von Scham und einem mangelnden Bewusstsein dafür, dass es sich um ein medizinisches Problem handelt, das behandelbar ist. Daher ist es ziemlich schwierig zu sagen, wie viele Menschen an übermäßigem Schwitzen leiden. Doch mittlerweile wird davon ausgegangen, dass die berichteten rund 5% Betroffenen in der US-Bevölkerung wesentlich zu gering geschätzt sind. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass Studien aus anderen Ländern deutlich höhere Zahlen aufzeigen – im Fall von Deutschland beispielsweise etwa 16%.
Männer und Frauen sind übrigens gleich häufig von Hyperhidrose betroffen – allerdings suchen Frauen häufiger Hilfe auf. Der einzige Unterschied zwischen den Geschlechtern ist die Lokalisation der Beschwerden. Denn während Frauen eher das Schwitzen in den Achseln beklagen, scheint bei Männern der Fokus auf der Gesichts- und Kopfhaut sowie weiteren Regionen zu liegen.
Etwa 50% der Betroffenen schwitzen in den Achseln zu stark, gefolgt von den Fußsohlen mit 30%. Bei 25% sind die Handflächen betroffen und jeder Zehnte hat die Hyperhidrose im Gesicht. Es kommt aber auch häufig vor, dass mehrere Lokalisationen gleichzeitig übermäßiges Schwitzen zeigen: 18% der Betroffenen haben es in den Achseln und an den Händen und 15% haben eine Kombination aus Händen und Füßen.
Primäre vs sekundäre Hyperhidrose
Wenn Mediziner:innen über Hyperhidrose sprechen, hört man immer wieder die Begriffe primäre und sekundäre Hyperhidrose. Weil diese Einteilung bei übermäßigem Schwitzen besonders wichtig ist, klären wir kurz, was damit gemeint ist.
Eine primäre Hyperhidrose entsteht NICHT durch andere Krankheiten oder Medikamente. Das Gegenteil ist bei der sekundären Hyperhidrose der Fall: Sie tritt als Folge anderer Erkrankungen oder äußerer Einflüsse auf – also quasi indirekt verursacht.
Bei mehr als 90% der Betroffenen liegt eine primäre Hyperhidrose vor. Wenn man eine primäre Hyperhidrose hat, schwitzt man in der Regel nicht in der Nacht, sondern nur während des Tages. Sie tritt meist in Schüben auf, kann aber auch fast dauerhaft spürbar sein, und kann durch Temperatur, Emotionen und körperliche Aktivität getriggert werden. Normalerweise ist sie auf eine oder mehrere Stellen begrenzt und tritt dort auch auf beiden Körperseiten symmetrisch auf. Am häufigsten sind jüngere Erwachsene betroffen, wobei die primäre Hyperhidrose oft zwischen 14 und 25 beginnt und sich im höheren Alter dann auch zurückbilden kann.
„93% der Betroffenen leiden an der primären Form der Hyperhidrose – es liegt also weder eine andere Erkrankung vor, noch sind Medikamente oder andere äußere Einflüsse dafür verantwortlich.“
Die sekundäre Hyperhidrose hingegen tritt meist generalisiert am gesamten Körper auf (mit wenigen Ausnahmen). Ganz typisch für diese Form ist das Auftreten von Nachtschweiß. Wenn du also in der Nacht öfters klatschnass aufwachst, liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit eine sekundäre Hyperhidrose bei dir vor. Generell sind vermehrt ältere Menschen davon betroffen.

Doch was genau führt nun eigentlich zu einer primären oder sekundären Hyperhidrose?
Primäre Hyperhidrose
Lass uns zuerst klären, wie es zur häufigsten Art der Hyperhidrose kommt, der primären Hyperhidrose. Gleich vorab sei gesagt, dass die Wissenschaft hier selbst noch nicht den ganzen Durchblick hat.
Bei der primären Hyperhidrose spielt die genetische Veranlagung vermutlich eine wichtige Rolle. Etwa jede:r Zweite bis Dritte hat nämlich auch in der Familie jemanden mit dem gleichen Problem. Deshalb geht man davon aus, dass die Gene beteiligt sind, wobei die Stärke der Symptome von Generation zu Generation unterschiedlich sein kann. Manchmal tritt das übermäßige Schwitzen sogar eine Generation lang gar nicht auf, obwohl die Veranlagung weitervererbt wird.
Es gibt auch die Vermutung, dass mehrere Gene gleichzeitig beteiligt sind. Das würde erklären, warum die Ausprägung in Familien so unterschiedlich sein kann – also warum manche stark und andere nur leicht schwitzen oder ganz verschont bleiben.
„Wahrscheinlich sind die Gene für die primäre Hyperhidrose verantwortlich.“
Diese genetische Veranlagung führt dann zu den Ursachen der primären Hyperhidrose. Zwei plausible Theorien gehen von leicht unterschiedlichen Mechanismen hierfür aus.
Überreaktion des Nervensystems
Grundsätzlich wird davon ausgegangen, dass die ekkrinen Schweißdrüsen für Hyperhidrose verantwortlich sind. Zu dieser Überzeugung kommt man deshalb, weil einerseits der bei Hyperhidrose produzierte Schweiß sehr wässrig ist und andererseits in den Handflächen, die häufig betroffen sind, nur ekkrine Schweißdrüsen vorhanden sind.
Vielleicht denkst du dir jetzt: „Also habe ich einfach mehr ekkrine Schweißdrüsen.“ Das scheint aber nicht der Fall zu sein! Denn bei von übermäßigem Schwitzen Betroffenen sind diese Schweißdrüsen weder vermehrt vorhanden noch sind sie größer oder haben irgendwelche anderweitigen Auffälligkeiten.
Deshalb geht man davon aus, dass eine Störung im Nervensystem für die Hyperhidrose verantwortlich ist. Bestimmte Nerven arbeiten dabei überempfindlich und regen die Schweißdrüsen unnötig stark an. Man kann sich das vorstellen wie ein viel zu empfindlich eingestelltes Thermostat: Schon bei kleinsten Reizen – wie leichter Aufregung oder Wärme – springt es an und löst eine übertriebene Reaktion aus (starkes Schwitzen), obwohl der Körper gar nicht überhitzt ist.
„Wenn du übermäßig schwitzt, hast du weder mehr noch größere Schweißdrüsen.“
Emotionale Fehlschaltung
Eine andere Theorie, die parallel dazu existiert, geht davon aus, dass die primäre Hyperhidrose teilweise auch mit der Art der Verarbeitung von Gefühlen im Gehirn zu tun hat. Der Teil des Gehirns, der das Schwitzen steuert, soll dabei eine direkte Verbindung mit dem „Gefühlshirn“ haben, aber keine zum „Temperaturhirn“. Das Gehirn überspringt also quasi die normale Temperaturkontrolle und schaltet das Schwitzen direkt über die Gefühlsebene ein. Deshalb kann das Schwitzen auch schon durch kleine emotionale Reize ausgelöst werden – der Körper läuft plötzlich auf Hochtouren, obwohl es dafür eigentlich keinen körperlichen Grund gibt. Begründet ist die Theorie darin, dass bei Menschen mit Hyperhidrose an den Händen, Füßen oder in den Achseln das Schwitzen stärker von Emotionen beeinflusst zu sein scheint.

Sekundäre Hyperhidrose
Jetzt schauen wir uns genauer an, wie die sekundäre Hyperhidrose zustande kommen kann. Hier spielen nämlich ganz andere Dinge eine Rolle. Grundsätzlich gibt es Ursachen, die eine normale Reaktion des Körpers sind 🌿, aber auch solche, die krankhaft sind ⚠️.
„Eine sekundäre Hyperhidrose kann sowohl eine ganz normale Reaktion des Körpers sein, als auch ein Warnzeichen, dass etwas falsch läuft.“
Hitze oder körperliche Anstrengung
🌿
Dass wir bei Hitze, Sport, körperlicher Arbeit und ähnlichen Dingen schwitzen, ist dir mit Sicherheit nichts Neues. Dass das völlig normal ist und eine wichtige und gesunde Reaktion deines Körpers ist, wahrscheinlich ebenso nicht. Falls dich interessiert, was hier genau im Körper passiert, findest du viele spannende Informationen im Basiswissen Schwitzen.
Fieber
🌿
Wenn du krank bist und Fieber bekommst, arbeitet dein Immunsystem auf Hochtouren. Die erhöhte Körpertemperatur hilft dabei, Krankheitserreger abzutöten. Sobald dein Körper merkt, dass der Kampf gewonnen ist, beginnt er, die Temperatur wieder zu senken – und genau dann kommt das Schwitzen ins Spiel. Es hilft dabei, überschüssige Wärme loszuwerden und den Körper wieder runterzukühlen. Wenn du also im Rahmen von Fieber stark zu schwitzen beginnst, ist das meistens ein gutes Zeichen: Dein Körper ist dabei, sich zu erholen, und das Fieber geht zurück.
Hormonelle Umstellungen
🌿
Starkes Schwitzen kann als ganz normale Reaktion im Rahmen von hormonellen Umstürzen auftreten. Am eindrücklichsten erleben das Frauen im Rahmen der Schwangerschaft und in den Wechseljahren. Ebenso ist die Pubertät von Phasen mit übermäßigem Schwitzen geprägt. Das ist alles ganz normal und kein Grund zur Sorge. Wenn die Hormone wieder im Gleichgewicht sind, ist auch der Spuk der starken Schweißproduktion vorbei.
Starke Emotionen oder Stress
🌿
Wenn uns etwas stresst, aufregt oder nervös macht, schaltet unser Körper in den Alarmmodus. Ein erhöhter Puls, angespannte Muskeln und eben auch Schweißausbrüche gehören dazu. Gerade bei Vorstellungsgesprächen, Prüfungen oder unangenehmen Gesprächen kann das vorkommen. Auch wenn das lästig ist: Das ist völlig normal und kein Anzeichen für eine Krankheit – solange keine emotionale Fehlschaltung vorliegt.
Lebensstil
🌿
Auch alltägliche Dinge können den Schweißausfluss stark anregen: Zu viel Kaffee, Alkohol, scharfes Essen oder enge Kleidung sind nur ein paar Beispiele hierfür. Wenn du also manchmal schwitzt, liegt das nicht automatisch an einer Störung. Mit einigen Anpassungen deines Lebensstils kannst du dem gegebenenfalls vorbeugen.
Erkrankungen
⚠️
Manchmal steckt hinter starkem Schwitzen eine ernstere Ursache, nämlich eine körperliche oder psychische Erkrankung. In solchen Fällen ist das Schwitzen keine normale Reaktion mehr, sondern ein Warnzeichen. Der Körper gerät aus dem Gleichgewicht, weil etwas nicht richtig funktioniert. Gerade wenn das Schwitzen plötzlich und ohne erkennbaren Auslöser auftritt oder sich über längere Zeit hält, muss man genauer hinschauen. Besonders bei Menschen über 60 Jahren ist eine mögliche Grunderkrankung sehr naheliegend und dringend ärztlich abzuklären.
Mit starkem Schwitzen gehen vor allem folgende Erkrankungen einher:
- Krebserkrankungen (z.B. Lymphome)
- Hormonstörungen (z.B. Schilddrüsenüber- oder -unterfunktion)
- Herz-Kreislauf-Erkrankungen (z.B. Herzinsuffizienz)
- Infektionen (z.B. Tuberkulose, HIV)
- Neurologische Erkrankungen (z.B. Parkinson)
- Stoffwechselerkrankungen (z. B. Übergewicht, Diabetes)
- Psychische Erkrankungen (z.B. Sozialphobie)
„Übermäßiges Schwitzen, das erst im Alter auftritt, sollte dringend ärztlich abgeklärt werden.“
Medikamente
⚠️
Auch bestimmte Medikamente können für starkes Schwitzen verantwortlich sein – entweder als direkte Nebenwirkung oder weil sie eine Reaktion im Körper auslösen, die das Schwitzen indirekt mit sich bringt. Besonders häufig passiert das bei Wirkstoffen, die auf das Nervensystem, den Kreislauf oder den Hormonhaushalt wirken. In manchen Fällen ist das Schwitzen sogar ein gewollter Effekt, etwa wenn fiebersenkende Mittel den Körper zur Abkühlung bringen.
Folgende Medikamente sind besonders häufig mit vermehrtem Schwitzen verbunden:
- Opioide
- Antidepressiva und Stimmungsstabilisierer (z.B. trizyklische Antidepressiva, SSRI)
- Herz-Kreislauf-Medikamente
- Blutzuckersenkende Mittel (z.B. Insulin)
- Antibiotika und Virostatika (z.B. Ciprofloxacin, Acyclovir) – indirekt gewollte Reaktion
- Fiebersenkende Mittel (z.B. Paracetamol) – direkt gewollte Reaktion

Auch Alkohol und Drogen (z.B. Kokain, Heroin) können entweder beim Konsum selbst oder besonders deutlich beim Entzug vermehrtes Schwitzen auslösen. Der Körper reagiert hier auf das Ungleichgewicht, das durch die Stoffe entsteht.
Komplikation bei medizinischen Eingriffen
⚠️
In manchen Fällen kann starkes Schwitzen auch die Folge eines medizinischen Eingriffs sein. Wenn das passiert, dann ist das Schwitzen meist auf bestimmte Regionen des Körpers beschränkt. Vermehrt ist das Gesicht davon betroffen.
Ein klassisches Beispiel ist das sogenannte kompensatorische Schwitzen. Es kann nach einer endoskopischen thorakalen Sympathektomie auftreten. Das ist eine Operation, die eigentlich gegen starkes Schwitzen helfen soll. Der Körper sucht sich dann gewissermaßen einen „neuen Weg“, um die verlorene Funktion auszugleichen – und das kann zu plötzlichem Schwitzen an anderen Körperstellen führen. In der Regel ist das kompensatorische Schwitzen dann symmetrisch auf beiden Seiten des Körpers ausgeprägt.
Auch das Frey-Syndrom, ebenso als aurikulotemporales Syndrom oder unter dem Überbegriff des krankhaften gustatorischen Schwitzens bekannt, fällt in diese Kategorie. Es kann entstehen, wenn Nerven bei einem Eingriff an der Ohrspeicheldrüse verletzt werden. Die Nerven wachsen dann manchmal „fehlgeleitet“ zusammen. Das Resultat ist, dass Betroffene beim Essen schwitzen – und zwar einseitig im Gesicht, oft begleitet von Rötung, Brennen oder Kribbeln der Haut.
„Wenn du plötzlich nur an einer bestimmten Körperstelle stark schwitzt – vor allem nach einem Eingriff -, kann eine Nervenreaktion die Ursache sein.“
Allerdings können solche lokal begrenzten Formen der sekundären Hyperhidrose auch durch Tumore, Nervenschädigungen (beispielsweise aufgrund von Diabetes), Schlaganfälle oder Infektionen wie Gürtelrose ausgelöst werden.
Quellen
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Doolittle J, et al. (2016) Hyperhidrosis: an update on prevalence and severity in the United States. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/27744497/
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