Key Takeaways
„Off-label“-Medikamente sind zugelassene Medikamente, die außerhalb ihres ursprünglichen Anwendungsbereichs verwendet werden.
Bei Haarausfall werden häufig Off-label-Medikamente genutzt, da es wenig zugelassene Mittel gibt, insbesondere für Frauen.
Pharmaunternehmen investieren selten in die Zulassung für neue Anwendungsgebiete, da die Kosten oft höher sind als der potenzielle Gewinn.
Off-label bedeutet nicht unsicher, aber ohne offizielle Zulassungsstudien gibt es nicht so genaue Einschätzungen zu Wirksamkeit und Nebenwirkungen in diesem Anwendungsfall.
Vielleicht ist dir bereits aufgefallen, dass viele Medikamente bei Haarausfall „off-label“ zum Einsatz kommen. Doch was bedeutet das eigentlich genau und vor allem, welche Auswirkung hat das auf dich und die Behandlung deines Haarausfalls? Wir geben Einblick in die Vorgehensweise von Medizinern und Pharmafirmen!
Was bedeutet „off-label“?
Bevor ein Medikament auf den Markt kommt, müssen umfassende klinische Studien erfolgreich absolviert werden. Diese klinische Studien werden in einem spezifischen Einsatzgebiet mit einer spezifischen Patientengruppe, Dosierung und Verabreichungsart durchgeführt. Wenn die Studien für das Medikament sprechen, genehmigt die Arzneimittelbehörde am Ende des Prozesses das Medikament und es kann verkauft werden. Klingt ziemlich simpel, ist es aber in der Praxis nicht. Die Zulassung von Medikamenten ist sehr streng reguliert und die Studien sind äußerst kostspielig.
Wenn ein Medikament nun „off-label“ eingesetzt wird, bedeutet das, dass das Medikament zwar zugelassen ist, jedoch in einer Weise verwendet wird, die so nicht in der Genehmigung der Arzneimittelbehörde festgelegt ist. In Europa ist die EMA (European Medicines Agency) die zuständige Arzneimittelbehörde, während es in den USA die FDA (Food and Drug Administration) ist. Eine Arzneimittelbehörde regelt die Zulassung und Vermarktung von Medikamenten. Da es nicht nur eine weltweite Arzneimittelbehörde gibt, ist es nicht unüblich, dass Medikamente in einem Land (bereits) zugelassen sind, während dies in anderen Ländern nicht der Fall ist.
„Off-label-Verwendung bezeichnet den Einsatz eines zugelassenen Medikaments in einer Art und Weise, die nicht in der ursprünglichen Zulassung durch die Arzneimittelbehörde vorgesehen ist.“
Ist eine Off-label-Verschreibung überhaupt erlaubt?
Grundsätzlich erlaubt sowohl die EMA als auch die FDA eine Off-label-Verwendung durch medizinisches Fachpersonal. Der einzige Unterschied zwischen Europa und den USA liegt in den nationalen Unterschieden innerhalb der EU. Denn auch wenn die Zulassung der EMA EU-weit gilt, können einzelne Staaten die Verfügbarkeit oder Anwendung über nationale Regelungen beeinflussen, beispielsweise durch Einschränkungen bei der Erstattung oder der Verschreibung. Dasselbe gilt für die Off-Label-Nutzung – die EMA erlaubt sie, allerdings können die Rahmenbedingungen je nach Staat variieren.
Für Deutschland, Österreich und die Schweiz sind die Unterschiede bei der Off-label-Nutzung nur gering. Folgende Aspekte sind jedoch zu beachten: Besonders in Deutschland spielt die Frage der Kostenerstattung durch die Krankenversicherungen eine bedeutende Rolle, während in der Schweiz kantonale Unterschiede bestehen können.
„In Deutschland solltest du beachten, dass die Kosten von Medikamenten in Off-label-Verwendung in der Regel nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen werden.“
Kostenerstattung in Deutschland: Die gesetzliche Krankenversicherung erstattet Medikamente in Off-label-Verwendung nur in Ausnahmefällen. Private Krankenversicherungen können hier flexibler agieren; die medizinische Notwendigkeit sollte jedoch gut dokumentiert werden. In Österreich und der Schweiz sind solche expliziten Erstattungsregelungen weniger streng definiert.
Kantonale Unterschiede in der Schweiz: In der Schweiz können kantonale Bestimmungen zusätzliche Anforderungen an die Verschreibung und Dokumentation von Medikamenten in Off-label-Verwendung stellen. Solche regionalen Unterschiede gibt es in Deutschland und Österreich nicht.
Warum sind Off-label-Behandlungen bei Haarausfall so weit verbreitet?
Nachdem die Rahmenbedingungen von Off-label-Nutzung geklärt sind, stellt sich nun die Frage, warum Pharmafirmen die Medikamente nicht für weitere Einsatzgebiete, Personengruppen etc. zulassen und vor allem auch, warum gerade im Bereich Haarausfall viele Präparate off-label genutzt werden.
Die Motivation von Pharmaunternehmen
In einer idealen Welt wären Medikamente immer für alle Anwendungsbereiche zugelassen oder zumindest gekennzeichnet, für die ausreichend Daten vorliegen, um die Sicherheit und Wirksamkeit des Medikaments zu belegen. Wie so oft ist die Welt aber nicht ideal und Pharmaunternehmen agieren wirtschaftlich. Daher werfen wir nun einen kurzen Blick auf einige wichtige Überlegungen von Pharmafirmen.
Kosten-Nutzen-Rechnung
Die Durchführung klinischer Studien ist teuer und zeitaufwendig. Pharmaunternehmen benötigen daher genug Anreiz für weitere Zulassungsstudien.

Wenn ein Medikament nun über die offizielle Zulassung hinaus auch für weitere Indikationen oder Personengruppen off-label angewendet wird, ist das durchaus auch vorteilhaft für die Pharmafirma: Der Anwenderkreis vergrößert sich und damit auch die Abnahmemenge – also mehr Umsatz ohne zusätzliche Ausgaben für neue Studien.
Zudem muss sich die Zulassung auch rentieren. Daher konzentrieren sich Pharmafirmen in erster Linie auf Krankheitsbilder, die viele Personen betreffen. Medikamente für seltene Krankheiten sind in der Regel wenig rentabel. Beispielsweise wird in die Forschung zur Behandlung von Diabetes viel Geld investiert, wohingegen in die sehr seltene genetische Erkrankung Progerie, bei der Betroffene vorzeitig altern, wenig finanzielle Mittel fließen.
Generika
Wenn ein Medikament die Zulassung erhält, hat das Pharmaunternehmen darauf einen Patentschutz (exklusiven Verkaufsrechtsschutz), der grundsätzlich weltweit 20 Jahre lang gilt. Nach diesem Zeitraum können auch andere Hersteller denselben Wirkstoff als Generikum produzieren. Generika sind in der Regel preiswerter, wodurch das Pharmaunternehmen, das die ursprüngliche Zulassung des Medikaments vorgenommen hat, unter Preisdruck gerät. Kurz gesagt: Generika sind gut für deine Geldbörse und schlecht für die des Originalherstellers. Wenn nun bereits Generika zu einem Wirkstoff auf dem Markt sind, haben Pharmafirmen weniger Anreiz weitere Anwendungsgebiete in Zulassungsstudien zu untersuchen.
Gut zu wissen: Generika sind oft für weniger Einsatzgebiete zugelassen als das Originalpräparat. Das liegt daran, dass die Zulassung von Generika meist nur für die ursprünglichen Anwendungsgebiete des Orginalmedikaments erfolgt. Generika werden jedoch auf Basis der Bioäquivalenz zugelassen – das heißt, dass sie die gleiche Wirkstoffzusammensetzung und das gleiche Wirkstoffverhalten (pharmakokinetischen Eigenschaften) wie das Original aufweisen müssen. Also de facto, Generikum und Original = same same.
„Generika haben die gleiche Wirkstoffzusammensetzung und das gleiche Wirkstoffverhalten wie das Originalpräparat.“
Strategische Prioritäten
Tendenziell konzentrieren sich Pharmaunternehmen darauf, ihre Ressourcen auf die Entwicklung neuer, innovativer Medikamente zu konzentrieren, anstatt auf die Erweiterung der Anwendungsgebiete für ältere Medikamente. Das begründet sich darin, dass neue Medikamente höhere Gewinnpotenziale sowie einen Patentschutz und damit Exklusivität am Markt bieten.
Off-label-Medikamente bei Haarausfall
Die Off-label-Nutzung von Medikamenten ist in der Medizin weit verbreitet und steigt immer weiter an – auch zum Vorteil von Betroffenen, die dadurch zusätzliche therapeutische Optionen eröffnet bekommen. Vor allem in der Onkologie (Krebsbehandlung), aber auch in der Inneren Medizin kommen viele Wirkstoffe für weitere Anwendungsgebiete zum Einsatz. Doch auch zur Behandlung von Haarausfall gibt es auffällig viele Off-label-Präparate.
„Die Anwendung von Medikamenten off-label ist in der Medizin gängige Praxis.“
Mangel an Medikamenten
Der Hauptgrund für die weit verbreitete Off-label Nutzung bei Haarausfall ist der Mangel an Medikamenten, die speziell für Haarausfall zugelassen sind. Es gibt verschieden Formen von Haarausfall und die meisten Wirkstoffe werden nur für bestimmte Formen von Haarausfall zugelassen (z.B. für androgenetischen Haarausfall).
Geschlechtsspezifische Zulassung
Die Formen und Ursachen von Haarausfall unterscheiden sich bei Männer und Frauen. Besonders für Frauen gibt es nur wenige speziell für Haarausfall zugelassene Medikamente, weshalb häufig off-label verordnet wird. Ein weiterer Aspekt ist, dass erblich bedingter Haarausfall, der sowohl Männer als auch Frauen betrifft, oft mit hormonellen Faktoren, insbesondere den Sexualhormonen, in Verbindung steht. Da der Hormonhaushalt geschlechtsspezifisch ist und sich bei Frauen im Laufe des Lebens durch Ereignisse wie Schwangerschaft, Wechseljahre oder hormonelle Schwankungen stark verändern kann, sind spezielle Zulassungsstudien für diese Gruppe besonders komplex und kostenintensiv. Aus diesem Grund greifen viele Ärzt:innen auf Medikamente zurück, die ursprünglich für andere Erkrankungen entwickelt wurden, aber auch positive Effekte bei Haarausfall zeigen.
Ein eindrückliches Beispiel
Minoxidil wurde ursprünglich als Medikament zur Behandlung von Bluthochdruck zugelassen und eingesetzt. Dabei stellte man fest, dass es als Nebeneffekt das Haarwachstum fördern kann. Auf dieser Grundlage wurde Minoxidil später für die Behandlung von erblich bedingtem Haarausfall bei Männern und Frauen zugelassen – ein Markt mit großem wirtschaftlichem Potenzial. Inzwischen sind zahlreiche Generika von Minoxidil verfügbar, und das Anwendungsspektrum hat sich im Off-label-Bereich erheblich erweitert.

Obwohl Minoxidil nicht offiziell zur Förderung des Bartwuchses zugelassen ist, wird es erfolgreich dafür eingesetzt. Ein Beispiel dafür ist ein Bericht, in dem bei einem eineiigen Zwilling, der mit 5 % Minoxidil im Bartbereich behandelt wurde, ein deutliches Bartwachstum zu beobachten war, während der andere Zwilling keine Behandlung erhielt.
Off-label = unsicher?
Wahrscheinlich fragst du dich, ob off-label automatisch auch unsicher bedeutet. Das ist jedoch nicht der Fall. Es gibt zwar keine umfangreichen Zulassungsstudien für das Anwendungsgebiet, jedoch sind die Nebenwirkungen grundsätzlich bereits durch die Zulassung für das ursprüngliche Einsatzgebiet bekannt. Die Wirksamkeit in der off-label Anwendung ist allerdings nicht offiziell getestet. Häufig gibt es aber bereits Studien und Fallberichte, an denen sich Ärzt:innen orientieren können.
Es ist jedoch wichtig, dass Patient:innen sich ärztlich beraten lassen, bevor sie ein Off-label-Medikament ausprobieren. Denn nicht alle Medikamente, die bei Haarausfall helfen können, sind für jede:n geeignet.
Der Nachteil von off-label
Off-label-Nutzung von Medikamenten bringt für dich vor allem einen Nachteil mit sich: Manche Ärzt:innen sind nicht über die erweiterte Wirkung des Medikaments informiert oder verschreiben es dir das Medikament nicht off-label.
„Es kann schwierig sein, ein Medikament off-label verschrieben zu bekommen.“
Mangelndes Wissen
Pharamunternehmen ist es rechtlich nicht erlaubt, ihre Medikamente bei Ärzt:innen für nicht zugelassene Anwendungsbereiche zu bewerben. Daher erfahren Ärzt:innen von potenziellen Off-label-Nutzungen nicht über eine wichtige Informationsquelle – die Pharmavertreter:innen. Es erfordert demnach eine alternative Informationsquelle für Ärzt:innen, sei es durch den Austausch mit Kolleg:innen oder durch das regelmäßige Verfolgen neuer Publikationen, um Wissenslücken vorzubeugen.
Haftung
Bei Off-label-Anwendungen besteht zumindest eine theoretische Gefahr für Komplikationen. Da sich Ärzt:innen vermehrt mit Klagen von Patient:innen konfrontiert sehen, möchten sie zusätzliches Risiko vermeiden. Als Folge davon, bekommst du nur schwierig ein Rezept für Off-label-Medikamente.
Sei daher nicht nicht verunsichert, wenn dein:e Ärzt:in die Therapie und potenzielle Nebenwirkungen besonders ausführlich mit dir bespricht – das ist erforderlich. Manche Ärzt:innen sichern sich zudem zusätzlich durch eine schriftliche Einwilligungserklärung ab. All das ist völlig im Rahmen des Normalen und kein Grund für Sorgen deinerseits.
Fazit
Die Off-label-Nutzung von Medikamenten, also der Einsatz eines zugelassenen Medikaments außerhalb des ursprünglichen Zulassungsbereichs, ist in der Medizin weit verbreitet. Da es nur wenige speziell für die verschiedenen Formen von Haarausfall zugelassene Präparate gibt, werden bei der Behandlung häufig Medikamente off-label eingesetzt. Um deine Gesundheit und Sicherheit musst du dich dabei jedoch nicht sorgen.
Quellen
Bennett WM. (2004) Off-label use of approved drugs: therapeutic opportunity and challenges. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/14978188/
de Vries EGE, et al. (2019) When is off-label off-road? https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC6857611/
Shokravi A, et al. (2024) Facial hair enhancement with minoxidil-an off-label use. https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC10894539