Key Takeaways
Es gibt keinen Parameter, mit dem das Maß an Libido direkt gemessen werden kann.
Bei Libidoverlust ist ein ausführliches Gespräch zentral für die Diagnosestellung.
Um mögliche organische Ursachen zu erkennen, werden körperliche Untersuchungen und gegebenenfalls Bluttests durchgeführt.
Viele Menschen kennen Phasen, in denen die Lust auf Sex deutlich geringer ist. Auch wenn es in unserer Gesellschaft oft so wirkt, als sei ein starkes sexuelles Verlangen die Norm, entspricht das nicht der Realität. Gerade dieser Unterschied zwischen Erwartung und Wirklichkeit führt dazu, dass viele Betroffene ungern darüber sprechen. Doch wie merkt man eigentlich, ob die eigene Libido wirklich vermindert ist, und wie findet man die Ursachen für eine geringe Libido heraus?
Was ist eine normale Libido?
Es gibt keinen Laborwert, der die Libido messen könnte – genauso wenig wie einen festen „Sollwert“ für sexuelles Verlangen. Entscheidend ist allein, wie man sich selbst damit fühlt. Nur wenn ein Mangel an Verlangen tatsächlich als belastend empfunden wird und das Wohlbefinden darunter leidet, spricht man von behandlungsbedürftigem Libidoverlust. Fachlich nennt man das hypoaktive sexuelle Verlangensstörung (Hypoactive Sexual Desire Disorder, HSDD), auch bekannt als sexuelle Appetenzstörung.
Das bedeutet einfach: Wer unter Libidoverlust oder -mangel leidet, verspürt über längere Zeit wenig oder gar kein Verlangen nach Sex. Das kann sich zeigen durch wenige oder fehlende sexuelle Gedanken, eine geringe Reaktion auf sexuelle Reize oder Schwierigkeiten, das Interesse während sexueller Aktivitäten aufrechtzuerhalten. Wichtig ist dabei immer, dass der fehlende Wunsch als belastend empfunden wird.

Anamnese
Libidoverlust beruht häufig nicht nur auf einer einzelnen Ursache. Oft spielen mehrere Faktoren gleichzeitig zusammen und diese gilt es zu identifizieren, um wieder mehr sexuelles Verlangen zu verspüren. Der wichtigste Schritt dafür ist ein ausführliches Gespräch (Anamnese). Auch der/die Partner:in kann hier eine wertvolle Quelle für zusätzliche Informationen sein.
Zuerst geht es in der allgemeinen Anamnese um die Gesundheit, Vorerkrankungen und Medikamente, Gewohnheiten und den Lebensstil gesprochen – also all das, was ein grobes Verständnis für den gesundheitlichen Kontext liefert.
Im Rahmen der Sexualanamnese stehen die eigene und die partnerschaftliche Sexualität im Mittelpunkt. Typische Fragen sind zum Beispiel: Seit wann fehlt die Lust? Wie häufig ist sexuelles Verlangen vorhanden? Gibt es Unterschiede zwischen Partnersex und Selbstbefriedigung? Werden Orgasmen erlebt?
Darüber hinaus werden psychosoziale Belastungen angesprochen. Dazu gehören Themen wie Selbstwertgefühl, Ängste, Depressionen und Traumata ebenso wie Partnerschaft, Nähe oder externe Stressoren.
Da Libidoverlust selten isoliert auftritt und oft mit anderen Aspekten der Sexualität verbunden ist, gibt es auch keinen Fragebogen, der nur die Diagnose von Libidoverlust abbildet. Bei Männern wird die Libido im „International Index of Erectile Function“ (IIEF) erfasst; bei Frauen im „Female Sexual Function Index“ (FSFI). Beide enthalten Fragen zum sexuellen Verlangen, setzen es aber in den Gesamtzusammenhang der Sexualität. In der Praxis steht jedoch ohnehin meist das persönliche Gespräch im Vordergrund.

Körperliche Untersuchung
Auch wenn psychische Faktoren bei Libidoverlust häufig eine wesentliche Rolle spielen, müssen zunächst organische Ursachen ausgeschlossen werden.
Bei Frauen schauen Frauenärzt:innen auf mögliche gynäkologische Erkrankungen oder hormonelle Veränderungen. Tast- und Ultraschalluntersuchungen sind hier üblich und in der Regel schon von den jährlichen Vorsorgeuntersuchungen bekannt.
Bei Männern liegt der Fokus von Urolog:innen oder Androlog:innen auf Veränderungen an Hoden, Penis und Prostata sowie auf möglichen Störungen im Hormonhaushalt oder der Durchblutung. Auch hier können Tast- und Ultraschalluntersuchungen eingesetzt werden, um Auffälligkeiten zu erkennen.
Je nach Anamnese wird neben der Genitalregion auch das Nerven- und Gefäßsystem genauer betrachtet.
Blutuntersuchung
Wenn der Verdacht auf körperliche Ursachen besteht, können Blutuntersuchungen wichtige Hinweise geben. So werden im Rahmen eines Hormonstatus unter anderem Testosteron und Prolaktin, bei Frauen zusätzlich auch Östrogen und Progesteron, überprüft. Auch die Schilddrüsenwerte spielen eine wichtige Rolle. Blutzucker und Blutfette können außerdem auf andere gesundheitliche Probleme hinweisen, die die Libido beeinflussen können. Je nach Situation werden noch weitere Marker kontrolliert.
Wichtig: Ein niedriger oder hoher Hormonwert erklärt nicht automatisch die Libido, sondern liefert nur Puzzleteile im Gesamtbild.
Weiteres Vorgehen
Wenn Untersuchung und Blutwerte keine klare körperliche Ursache zeigen, geht es darum, andere mögliche Auslöser besser zu verstehen. Dabei rücken seelische, soziale und partnerschaftliche Faktoren in den Mittelpunkt, die schon in der Anamnese angesprochen wurden.
Quellen
Clayton AH, et al. (2018) The International Society for the Study of Women’s Sexual Health Process of Care for Management of Hypoactive Sexual Desire Disorder in Women. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/29545008/
Kingsberg SA, et al. (2020) Female Hypoactive Sexual Desire Disorder: A Practical Guide to Causes, Clinical Diagnosis, and Treatment. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/32460605/
Parish SJ, et al. (2016) Hypoactive Sexual Desire Disorder: A Review of Epidemiology, Biopsychology, Diagnosis, and Treatment. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/27872021/
Rastrelli G, et al. (2025) The hormonal regulation of men’s sexual desire, arousal, and penile erection: recommendations from the fifth international consultation on sexual medicine (ICSM 2024). https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/40519205/
Rosen RC, et al. (1997) The international index of erectile function (IIEF): a multidimensional scale for assessment of erectile dysfunction. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/9187685/
Rosen R, et al. (2000) The Female Sexual Function Index (FSFI): a multidimensional self-report instrument for the assessment of female sexual function. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/10782451/
WHO. (2025; abgerufen am 08.09.2025) ICD-11: International Classification of Diseases, 11th Revision. Code: HA10.0 – Hypoaktive sexuelle Verlangensstörung. https://icd.who.int/en/
