Kamm mit Haaren als Symbol für Haarausfall

Post-Finasterid-Syndrom (PFS) bei Haarausfall: Was ist dran an den Langzeit-Nebenwirkungen?

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Inhalt
Symbolbild für das Post-Finasterid-Syndrom von einem verzweifelten Mann

Key Takeaways

Das Post-Finasterid-Syndrom ist wissenschaftlich noch nicht eindeutig belegt, mögliche Symptome wie sexuelle, psychische und kognitive Beschwerden werden jedoch immer wieder berichtet.

Bisherige Studien weisen methodische Schwächen auf, sodass unklar bleibt, ob die Beschwerden tatsächlich durch Finasterid oder durch andere Faktoren verursacht werden.

Wer Finasterid gegen Haarausfall erwägt, sollte Chancen und Risiken sorgfältig abwägen und mögliche Nebenwirkungen stets ärztlich abklären.

Finasterid ist wohl eines der meistdiskutierten Mittel gegen erblich bedingten Haarausfall. Viele Anwender schwören darauf, während es von anderen als riskantes Medikament dargestellt wird. In Online-Foren werden vor allem die potenziell langanhaltenden Nebenwirkungen hervorgehoben, was bei vielen von Haarausfall Geplagten eine Angst vor dem Wirkstoff hervorruft. Doch was steckt wirklich dahinter? Gibt es diese Nebenwirkungen tatsächlich? Und wenn ja, wie hoch ist das Risiko? Hier erfährst du die Fakten.

Was ist das Post-Finasterid-Syndrom?

Wie der Name schon erahnen lässt, beschreibt das Post-Finasterid-Syndrom, kurz PFS, mögliche Beschwerden, die sich durch die Einnahme von Finasterid ergeben und auch nach Absetzen des Medikaments weiterbestehen. Diese Symptome sind jedoch nicht bei jedem Menschen gleich, was es unter anderem so schwierig macht, eine direkte Verbindung mit Finasterid herzustellen.

  • Zum einen berichten Betroffene über negative sexuelle Auswirkungen wie beispielsweise Orgasmusschwierigkeiten, vermindertes sexuelles Verlangen oder auch Erektionsstörungen.
  • Zum anderen gibt es Patienten, die während oder nach der Einnahme von Finasterid psychische Beschwerden wie Depressionen oder Angstzustände erfahren.
  • Schließlich werden auch kognitive Beeinträchtigungen wie Konzentrationsschwierigkeiten oder Gedächtnisprobleme beschrieben. Häufig wird in diesem Zusammenhang der Begriff „Brain Fog“ verwendet, der einen Zustand beschreibt, in dem das Denken erschwert ist und man sich benebelt fühlt.
Infografik zu möglichen Symptomen des Post-Finasterid-Syndroms: Sexuell – verringerte Libido, Erektionsstörungen und Orgasmusschwierigkeiten; Psychisch – Depressionen und Angstzustände; Kognitiv – Gedächtnisprobleme und Brain-Fog.

Die Beschwerden können dabei unterschiedlich schwer ausfallen. So sind sie für manche Betroffene ein lästiges Übel, während andere sehr stark damit zu kämpfen haben und ihr Leben davon drastisch beeinflusst wird. Doch während klar ist, dass die Beschwerden vorhanden sind, ist häufig nicht klar, ob sie überhaupt durch das Medikament an sich ausgelöst wurden.

Der Stand der Forschung

Die Wissenschaft ist sich beim Post-Finasterid-Syndrom leider nicht ganz einig. Obwohl das Thema schon von einigen Forscher:innen untersucht wurde, lässt sich bislang noch keine klare Einordnung ableiten.

In einer Übersichtsarbeit kam man 2019 zu dem Schluss, dass bisherige Studien zum Syndrom methodische Schwächen wie kleine Stichprobengrößen, mögliche Verzerrungen durch subjektive Einschätzungen oder auch fehlende Kontrollgruppen aufweisen.

Doch einige Wissenschaftler:innen betonen, dass Finasterid durchaus langanhaltende Nebenwirkungen haben kann. Dass das Medikament in den Hormonhaushalt eingreift, ist bereits hinreichend bekannt. Vergleichsweise neu ist allerdings die Vermutung, dass Finasterid auch die Produktion wichtiger Substanzen im Gehirn beeinflussen könnte. Damit könnte die Wissenschaft dem Syndrom langsam auf die Spur kommen.

„Bisherige Studien weisen methodische Schwächen auf, weshalb die Existenz des Post-Finasterid-Syndroms wissenschaftlich bislang nicht eindeutig bestätigt werden kann.“

Neuere Studien an Tieren zeigen nämlich, dass Finasterid Veränderungen im Gehirn und im Hormonsystem auslösen könnte. Im Fokus stehen dabei sogenannte Neurosteroide wie Allopregnanolon. Dabei handelt es sich um Substanzen, die die Aktivität von Botenstoffen im Gehirn modulieren und so sowohl unsere Sexualfunktion als auch unser Denkvermögen beeinflussen. Forscher:innen arbeiten derzeit daran, diese Erkenntnisse aus dem Labor in klinische Studien am Menschen zu überführen, um das Syndrom besser verstehen und wirksame Behandlungsansätze entwickeln zu können.

Warum die Diskussion so hitzig geführt wird

Ein Grundproblem der Forschung am Post-Finasterid-Syndrom ist, dass eben die methodische Aufarbeitung nicht ganz einfach ist. Vor allem die Sammlung der Daten ist herausfordernd. So beziehen sich die meisten Studien auf Erfahrungsberichte, was die Ergebnisse durch die damit einhergehende Subjektivität verzerren kann. Es ist bereits hinreichend bekannt, dass Menschen mit negativen Erfahrungen häufiger Berichte abgeben als Menschen, die positive Erfahrungen oder zumindest keine negativen gemacht haben.

Außerdem bedeutet ein Zusammenhang nicht zwingend, dass eine eindeutige Kausalität besteht. Finasterid wird schließlich langfristig angewendet und die genannten Beschwerden des Post-Finasterid-Syndroms sind sehr vielfältig und nicht eindeutig zuordenbar. Dadurch ist es schwierig zu beurteilen, ob andere Faktoren wie Stress, hormonelle Veränderungen oder Vorerkrankungen eine Rolle spielen oder die Symptome gar durch das Altern, die Lebensweise oder durch andere Medikamente ausgelöst werden.

Nocebo-Effekt und Reporting Bias Diagramm - Verzerrungen in klinischen Studien durch Erwartungshaltung und selektive Berichterstattung

Nicht zuletzt sind mit dem Medikament erhebliche wirtschaftliche Interessen verbunden. Pharmaunternehmen haben naturgemäß wenig Anreiz, mögliche Langzeitrisiken ihrer Produkte in den Vordergrund zu stellen. Gleichzeitig können Foren und andere Online-Communities negative Aspekte und Ängste verstärken und das wahrgenommene Risiko erhöhen. Gerade bei Medikamenten, die schon länger auf dem Markt sind und von vielen Anwendern genutzt werden, liegen zahlreiche Erfahrungsberichte vor. Dies kann zu einem sogenannten Reporting Bias führen, bei dem negative Erfahrungen besonders betont werden. Hinzu kommt der Nocebo-Effekt: Eine intensive Beschäftigung mit potenziellen Nebenwirkungen kann dazu beitragen, dass Betroffene die Symptome des Post-Finasterid-Syndroms stärker wahrnehmen und erleben.

Was bedeutet das für Männer mit Haarausfall, die Finasterid erwägen?

Eine klare Antwort lässt sich derzeit leider nicht geben. Es gibt Millionen von Menschen, die mit Finasterid keine oder kaum Nebenwirkungen erfahren. Wie hoch die Anzahl der von PFS Betroffenen ist, lässt sich allerdings mangels zuverlässiger Daten schwer sagen.

Studien zeigen jedoch, dass das Risiko für Post-Finasterid-Symptom-ähnliche Nebenwirkungen unter Finasterid im Vergleich zu Placebo erhöht sein könnte. Dabei ist jedoch zu beachten, dass hier auch Patienten eingeschlossen wurden, die Finasterid in einer höheren Dosis zur Behandlung von Prostataerkrankungen bekommen haben.

„In Zulassungsstudien traten sexuelle Nebenwirkungen bei 4 % der Finasterid-Anwender auf – im Vergleich zu 2 % ohne Finasterid. „

In der offiziellen Zulassungsstudie von Finasterid gegen erblich bedingten Haarausfall erfuhren etwa 4% der Anwender sexuelle Nebenwirkungen wie verringerte Libido, wobei auch über 2% der Placebogruppe von solchen Nebenwirkungen berichteten. Wichtig: Hier ist von generellen Nebenwirkungen die Rede und nicht unbedingt vom Post-Finasterid-Syndrom. Auch wenn diese Zahl – vor allem in Anbetracht des Unterschieds zur Placebogruppe – gering ausfiel, sollten potenzielle Nebenwirkungen nicht kleingeredet werden. Problematisch ist bei der Studie auch, dass keine Langzeitdaten untersucht wurden.

Infografik zur Häufigkeit von Nebenwirkungen bei Finasterid: Von 100 dargestellten Personen sind 4 orange markiert und zeigen, dass etwa 4 von 100 Anwendern Nebenwirkungen erfahren.
Häufigkeit der Nebenwirkungen von Finasterid bei Einnahme gegen Haarausfall laut Zulassungstudie.
orange = Nebenwirkung
blaugrün = keine Nebenwirkung

Bevor du eine Behandlung mit Finasterid beginnst, ist es sinnvoll, dich ausführlich über das Medikament zu informieren und mögliche positive sowie negative Auswirkungen abzuwägen. Gespräche mit Ärzt:innen, die deine individuelle Situation einschätzen können, können dabei sehr hilfreich sein.

Wenn du bereits Finasterid einnimmst und Veränderungen oder Nebenwirkungen bemerkst, solltest du diese unbedingt mit deinem Arzt oder deiner Ärztin besprechen. Gemeinsam könnt ihr dann entscheiden, ob das Medikament weiter eingenommen werden kann oder ob ein Abbruch ratsam ist. In den meisten Fällen verschwinden Nebenwirkungen nach Absetzen von Finasterid wieder. Sollte sich wirklich ein Post-Finasterid-Syndrom entwickeln, stehen derzeit nur Möglichkeiten zur symptomatischen Behandlung zur Verfügung.

Wenn du Finasterid aufgrund der Risiken nicht einnehmen möchtest oder die Behandlung aufgrund von Nebenwirkungen abgebrochen hast, stehen dir auch weitere Optionen wie Minoxidil, Microneedling oder Ketoconazol-Shampoos zur Verfügung. Ebenso könnte topisches Finasterid, bei dem mit geringeren Nebenwirkungen zu rechnen ist, eine Möglichkeit sein.

Fazit

Derzeit ist wissenschaftlich noch nicht abschließend geklärt, ob Finasterid langfristige Nebenwirkungen verursachen kann, die nach Absetzen des Medikaments bestehen bleiben. Entsprechend lässt sich dies derzeit in beide Richtungen argumentieren. Es besteht jedoch durchaus die Möglichkeit, dass das Post-Finasterid-Syndrom eine reale Erkrankung darstellt. Um hier mehr Sicherheit zu gewinnen, sind methodisch saubere Studien am Menschen erforderlich, die das Risiko genauer untersuchen.

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Bild von Dr. med. univ. Magdalena Riederer, BSc MSc

Dr. med. univ. Magdalena Riederer, BSc MSc

Alena hat Humanmedizin an der Medizinischen Universität Wien studiert und hat zudem einen Master in Wirtschaftswissenschaften. Mit ihrem Wissen über die komplexen Zusammenhänge im menschlichen Körper und ihrer Faszination für medizinische Innovationen und Longevity ist sie die perfekte Ansprechpartnerin für Themen an der Schnittstelle zwischen Gesundheit und Lifestyle.