Kamm Symbol

Priorin bei Haarausfall: Wundermittel oder Werbemasche?

Alle Inhalte auf HealthHeld werden von medizinischem Fachpersonal verfasst bzw. geprüft.

Inhalt
Ein kleiner Cluster dunkelbrauner Priorin-Kapseln liegt auf einem salbeigrünen Hintergrund. Die Kapseln haben eine glatte, glänzende Oberfläche mit dezenten Lichtreflexionen. Die minimalistische Komposition lässt viel freien Raum im Bild, wodurch die Kapseln besonders hervorgehoben werden.

Key Takeaways

Priorin wird von Bayer gezielt für erblich bedingten Haarausfall bei Frauen vermarktet. Es ist ein Nahrungsergänzungsmittel, bestehend aus drei Komponenten: Hirseextrakt, Vitamin B5 und L-Cystin.

Obwohl Bayer drei Studien zur Wirkung von Priorin vorlegt, bleiben Zweifel aufgrund methodischer Schwächen und fehlender unabhängiger Bestätigungen bestehen.

Bei diffusem Haarausfall kann ein nachgewiesener Nährstoffmangel eine Rolle spielen, weshalb eine gezielte Supplementierung sinnvoll sein kann – allerdings nur nach ärztlicher Abklärung.

Haarausfall ist für viele Frauen ein sensibles Thema, meist ein noch sensibleres als bei Männern. Ob durch genetische Veranlagung, Medikamente, hormonelle Veränderungen oder Nährstoffmangel – die Ursachen sind vielfältig. Auf der Suche nach Abhilfe setzen manche auf Nahrungsergänzungsmittel wie Priorin, das vom Pharmaunternehmen Bayer speziell für Frauen mit erblich bedingtem Haarausfall vermarktet wird. Doch hält Priorin wirklich, was es verspricht?

Was ist Priorin genau?

Die Hauptinhaltsstoffe von Priorin sind Hirseextrakt, Vitamin B5 und die Aminosäure L-Cystin. Neu ist Priorin aber eigentlich nicht – das Mittel gibt es bereits seit über 60 Jahren. Während die grundlegenden Inhaltsstoffe unverändert geblieben sind, haben sich Verpackung und Marketingstrategie im Laufe der Zeit weiterentwickelt. Die Wirksamkeit von Priorin ist allerdings umstritten: Einige Nutzer:innen schwören darauf, während Kritiker:innen bemängeln, dass es keine überzeugenden wissenschaftlichen Beweise gibt, die die Wirkung eindeutig belegen. Zudem könnte man die Inhaltsstoffe Hirseextrakt, Vitamin B5 und L-Cystin auch einzeln kaufen oder über eine ausgewogene Ernährung aufnehmen. Verbessert Priorin Haarausfall also wirklich oder ist es nur cleveres Marketing?

Das Bild zeigt den Oberkopf einer Frau mit androgenetischer Alopezie. Das Haar ist im Scheitelbereich deutlich ausgedünnt, die Kopfhaut schimmert durch. Die Haare um den Scheitel sind feiner und lichter als an den Seiten.

Das sagen die Wissenschaft – und die Justiz

Die Stimme der Wissenschaft

Studie 1

Bayer beruft sich zur Wirksamkeit von Priorin häufig auf eine Studie aus dem Jahr 2000, die in der Zeitschrift für Hautkrankheiten veröffentlicht wurde. Da diese jedoch online nicht zugänglich ist, konnten wir weder die genauen Ergebnisse noch die Methodik der Studie überprüfen.

Bayer gibt an, dass die Wirkung von Priorin-Kapseln klinisch belegt sei und erste Ergebnisse bereits nach 12 Wochen sichtbar würden. Laut der Pharmazeutischen Zeitung stieg die Anagenquote – also der Anteil der Haare in der Wachstumsphase – innerhalb von drei Monaten sowohl in der Wirkstoffgruppe (von 75,5% auf 87%) als auch in der Placebogruppe (von 74,5% auf 83%) an. Dass in beiden Gruppen eine Zunahme zu beobachten war, wird mit möglichen saisonalen Effekten erklärt.

Zwar wurde ein signifikanter Unterschied festgestellt, jedoch war dieser vergleichsweise gering. Zudem war die Stichprobengröße mit nur 40 Teilnehmerinnen relativ klein, was die Aussagekraft der Ergebnisse weiter einschränkt.

Studie 2

In einer weiteren, jedoch nicht-interventionellen Studie, wurde die Wirksamkeit, Verträglichkeit und Zufriedenheit mit Priorin unter Alltagsbedingungen bei 139 Frauen mit erblich bedingtem Haarausfall untersucht. Über einen Zeitraum von 90 Tagen bewerteten die Teilnehmerinnen verschiedene Haarqualitätsmerkmale.

75% der Frauen gaben an, mit Priorin zufrieden zu sein, und berichteten von positiven Effekten auf Haarmenge und -qualität. Zudem wurden eine Reduktion des Haarverlusts, eine Zunahme der Haardicke sowie Verbesserungen bei Glanz und Brüchigkeit beobachtet. Nebenwirkungen traten selten auf und waren meist mild.

Eine nicht-interventionelle Studie beobachtet die Wirkung eines Produkts unter realen Alltagsbedingungen, ohne dass die Behandlung durch die Studienleitung aktiv beeinflusst wird. Das bedeutet, dass die Ergebnisse praxisnah, aber weniger wissenschaftlich präzise sind, da keine strenge Kontrolle über die Einflussfaktoren besteht.

Hand hält mehrere weiße Kapseln, symbolisch für Testosteron und Haarausfall.

Studie 3

Eine 2022 von Bayer finanzierte Studie zeigte, dass verkleinerte Haarfollikel bei Frauen mit erblich bedingtem Haarausfall (ganz genau gesagt: mit „weiblichem Muster“) unter Nährstoffmangel und verlangsamtem Stoffwechsel leiden. Überraschenderweise ist die Blutversorgung dieser Follikel nicht beeinträchtigt.
Allerdings spielt die reduzierte Durchblutung eine Rolle für die Anfälligkeit bestimmter Kopfhautbereiche, wodurch das weibliche Haarausfall-Muster erklärt werden könnte. Diese Mangeldurchblutung wird mit Unterschieden in der Produktion von speziellen Wachstumsfaktoren, die einen Einfluss auf die Blutgefäßbildung haben, begründet.

Dies bedeutet, dass der Nährstoffmangel nicht auf eine unzureichende Durchblutung zurückzuführen ist, sondern andere Ursachen haben muss. Allerdings gibt es gemäß der Studie bei betroffenen Frauen sehr wohl auch Probleme mit den Blutgefäßen, denn der Wachstumsfaktor, der die Bildung neuer Blutgefäße fördert (VEGF), wird weniger ausgeschüttet, während ein das Wachstum hemmendes Protein (Thrombospondin 1) vermehrt vorkommt. So erklärt man sich den Nährstoffmangel.

Die Forscher:innen konnten außerdem nachweisen, dass die verkleinerten Haarfollikel weiterhin in der Lage sind, Nährstoffe von außen aufzunehmen. Diese Erkenntnis unterstützt den Einsatz von Nahrungsergänzungsmitteln als ergänzende Behandlung bei weiblichem Haarausfall. 

Die Studie hat aufgrund der geringen Teilnehmerinnenzahl und des vorläufigen Charakters allerdings eine eingeschränkte Aussagekraft. Zudem basiert sie auf Laboruntersuchungen statt klinischen Tests, klärt die Ursachen des Nährstoffmangels nicht und untersucht keine Behandlungsergebnisse.

Die Stimme der Justiz

Der Bundesgerichtshof wies 2007 eine Klage des Verbands Sozialer Wettbewerb e.V. ab. Der Verband beanstandete, dass Priorin als diätetisches Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke, als sogenannte „bilanzierte Diät“, zur Behandlung von hormonell bedingtem Haarausfall bei Frauen vermarktet wurde. Als Begründung für die Abweisung wurde herangezogen, dass eine randomisierte, placebokontrollierte Doppelblindstudie eine statistisch signifikante Wirksamkeit bei der Verbesserung des Haarwachstums nachgewiesen hatte. Das Gericht entschied, dass ein solcher wissenschaftlicher Nachweis für die Wirksamkeitsbehauptung ausreichend ist, auch wenn der genaue Wirkmechanismus nicht vollständig geklärt ist.

Exkurs: Zufriedenheit mit Nahrungsergänzungsmitteln gegen Haarausfall

Im Rahmen einer umfassenden Umfrage im deutschsprachigen Raum haben wir untersucht, ob Personen mit Biotin oder anderen Nahrungsergänzungsmitteln gegen Haarausfall zufrieden sind. Während einige positive Erfahrungen berichteten, zeigte sich die große Mehrheit jedoch unzufrieden oder nur bedingt zufrieden.

Kreisdiagramm zur Zufriedenheit mit Biotin bei Haarausfall.
Kreisdiagramm zur Zufriedenheit mit Nahrungsergänzungsmitteln bei Haarausfall.

Grundsätzlich ist zu Nahrungsergänzungsmitteln und Haarausfall zu sagen, dass diese dann Sinn machen, wenn auch wirklich ein Nährstoffmangel vorliegt. Ein solcher Nährstoffmangel drückt sich als diffuser Haarausfall aus, bei dem das Haar über die gesamte Kopfhaut ausdünnt und der recht plötzlich auftreten kann.

Fazit

Bayer hat durch mehrere Studien und Umfragen versucht, die Wirksamkeit von Priorin wissenschaftlich zu belegen. Allerdings bleiben Zweifel bestehen, da die Studien methodische Mängel aufweisen, nicht in renommierten Fachjournalen veröffentlicht wurden und die konkreten Daten nicht einsehbar sind. Zu beachten ist auch, dass das Mittel bislang nicht an Männern getestet wurde.

Da diffuser Haarausfall in manchen Fällen durch Nährstoffmängel verursacht wird, könnte eine gezielte Supplementierung für diese Art von Haarausfall tatsächlich hilfreich sein – jedoch nur, wenn ein nachgewiesener Mangel vorliegt. Daher ist es ratsam, dies durch eine ärztliche Untersuchung und ein Blutbild abzuklären, bevor entsprechende Nahrungsergänzungsmittel eingenommen werden.

Für uns ist die Beweislage derzeit (noch) nicht ausreichend.

Teile diesen Beitrag

Picture of Cand. med. Magdalena Riederer, BSc MSc

Cand. med. Magdalena Riederer, BSc MSc

Alena steht kurz vor dem Abschluss ihres Medizinstudiums an der Medizinischen Universität Wien und ist derzeit auf der ganzen Welt unterwegs, um unterschiedlichste Gesundheitssysteme von innen kennenzulernen. Mit ihrem Wissen über die komplexen Zusammenhänge im menschlichen Körper und ihrer Faszination für die neuesten Entwicklungen in der ästhetischen Dermatologie ist sie die perfekte Ansprechpartnerin für Themen an der Schnittstelle zwischen Gesundheit und Lifestyle.